ÜL WW oder ÜL Touring? Ein Zwiegespräch

Was tun, wenn man seine paddlerische Heimat in der DJK Kleinwallstadt hat? (Für alle, die in der nordbayerischen Geographie nicht so bewandert sind: Kleinwallstadt liegt bei Aschaffenburg, also unweit der Grenze zu Hessen.)
Kleinwallstadt hat nicht gerade „wildes“ Wasser vor der Haustür - der Main ist hier als „Hausbach“ Basis und Ausgangspunkt, auch wenn die Jugend nach „Wilderem“ strebt und Vater Karl (der Abteilungsleiter) und Sohn Philipp schon lange immer wieder Richtung Alpen unterwegs sind. Aber als Führungskraft hat man auch den Anspruch, seinen Aufgaben als Ausbilder und verantwortungsbewusster Fahrtenleiter gerecht zu werden.

Zwei Typen Übungsleiter

Man braucht tatsächlich zwei Typen Übungsleiter: einen, der vor dem Bootshaus Anfängern eine vernünftige Paddeltechnik beibringt, Kajak und Canadier auf Binnenschiffahrtsstraßen, Seen und Kleingewässern souverän bewegen kann und durchaus auf dem SUP oder im Drachenboot eine ganz gute Figur macht. Und den anderen, der auch im WW 3 bis 4 sicher unterwegs ist, WW-spezifische Paddeltechnik vermittelt und, wenn es sein muss, seine Kameraden in rauen Gefilden retten und bergen kann.

Dazu passte, dass der BKV zum zweiten Mal neben dem Fach-Übungsleiter (ÜL) Wildwasser-Breitensport (WW) auch die Ausbildung zum ÜL Touring anbot und bei der DJK daraus eine Familienangelegenheit wurde. Philipp Kempf meldete sich zum ÜL WW an und Papa Karl nahm den ÜL Touring in Angriff.

Nun, nach beiderseits bestandener Ausbildung, ist das eine gute Gelegenheit für den kanu-kurier, die beiden Ausbildungsrichtungen aus der Sicht von direkt Beteiligten zu betrachten.

Für Karl war ganz wichtig:

Wie ich vor zwei Jahren das erste Mal vom ÜL Touring erfahren habe, war ich total begeistert von dem Konzept. Da ich selbst sehr spät mit dem Paddeln angefangen habe, weiß ich, was es heißt, Defizite in der Paddeltechnik zu haben. Andererseits bin ich mindestens zu 90 % mit Kajak, Canadier und SUP auf Zahmwasser unterwegs. Genau für diese Anforderungen konnte ich das Rüstzeug bekommen, um Paddelkollegen zu trainieren - für mich ist das genial!

Philipp paddelt seit seinem fünften Lebensjahr. Für ihn ist Wildwasser der Favorit. Zunächst lästerte er über die Ausbildung „für Wanderfahrer“: „Der ÜL Touring ist doch wohl eher zweite Klasse!“ Doch schon bald musste er seine Meinung revidieren.

Philipp sieht viele Gemeinsamkeiten im Ausbildungskonzept:

Anmeldung, Sichtung und Theoriewoche liefen für uns beide gleichermaßen ab. OK, die Touring-Leute waren zur Sichtung auf der Isar unterwegs und wir auf der Saalach, aber auch die Touring-Leute mussten ihre Rolle vorführen. Bei der Theoriewoche waren dann die Teilnehmer aus allen Kanu-Sparten zusammen, also auch die Rennsportler und die Slalom-Kanuten, und wir wurden in Lenggries vom Lehrteam unter der Leitung von Vroni Schlosser theoretisch fit gemacht. Wirklich spezifisch war dann erst die Praxiswoche.

Und da muss ich sagen: Alle Achtung vor den Touring-Leuten! Wir haben uns ja abends immer über WhatsApp auf den neuesten Stand gebracht. Da, wo wir wildwasserspezifisch sehr intensiv unterwegs waren, ging es bei den Touring-Leuten viel mehr in die Breite. Was die an ihrem Komplementär-Tag alles an Bootstypen gefahren sind! Am Ökotag waren sie im Drachenboot unterwegs, da sieht man schon, dass es da ebenso intensiv zuging wie bei uns, halt mit anderen Schwerpunkten.

Karl ergänzt dazu:

Vollkommen richtig. Das Pensum in der Woche war schon ordentlich. Und in unserer Nachbetrachtung nach der Woche mit Peter Fichtner und Oliver Bungers kam ja unsererseits der Vorschlag, zukünftig den ersten Samstag, an dem wir nachmittags anfingen, noch intensiver zu nutzen.

Weil Du schon die Schwerpunkte angesprochen hast: Bei uns waren die Inhalte überwiegend sachbezogen; da war die detaillierte Planung einer mehrtägigen Gepäckfahrt dabei, wir haben eine Etappe komplett gefahren, einschließlich Befahren von Schifffahrtsschleuse und Kleinbootschleuse, haben ausprobiert, wie sich Wanderboote auf der Slalomstrecke an der Bamberger Altstadt verhalten ‒ für uns alle übrigens eine ganz neue Erfahrung. Ihr wiederum habt sehr oft situativ gearbeitet.

Philipp nimmt den Faden auf:

Stimmt, wir hatten ja auch Probanden dabei, die eigentlich nur mitgefahren sind, um Situationen zu erzeugen, wo sie gerettet werden mussten. Oder es ergaben sich Konfliktsituationen mit „fiktiven“ Teilnehmern, z. B. der überbesorgten Mutter oder dem Besserwisser, die wir dann auflösen mussten.

Ganz generell kann man sagen: Vermitteln von WW-spezifischer Paddeltechnik und Führen auf WW 3, unter dieser Überschrift stand unsere Praxiswoche. Dabei hat das Thema Sicherheit bei uns sicherlich andere Schwerpunkte als im Touringbereich. Wurfsackwerfen, Springerrettung, Bootsbergung und der Aufbau von Flaschenzügen waren bei uns wesentlicher Bestandteil der Ausbildung. Ihr habt da auf ganz andere Dinge Wert gelegt.

Karl bestätigt sofort:

Ja, vollkommen richtig. Wir hatten z. B. heftigen Schiffsverkehr mit Fracht- und Passagierschiffen auf dem recht schmalen Obermain, und wenn Du dann mit einer großen Gruppe Paddler unterwegs bist, die nicht unbedingt alle paddeltechnisch topfit sind, dann stellt das ganz andere Anforderungen in Punkto Sicherheit.

Aber trotz dieser unterschiedlichen Gegebenheiten: Bei allem, was an übergreifenden Themen behandelt wird, wie Umwelt und Gewässer oder Wetter- und Kartenkunde, waren die Inhalte wiederum gleich und es wurde beim Prüfungswochenende in Augsburg bei den Themen nicht unterschieden, aus welchem Bereich jemand kommt.

Ebenso stammten die Lehrproben aus dem gleichen Aufgabenpool, und da war bei uns bei drei von vier Leuten das Vermitteln von Paddeltechnik das Thema. Das Klischee, dass es sich bei dem ÜL Touring um einen ÜL „light“ handelt, kann ich also keinesfalls bestätigen.

Das Fazit für beide:

Für die Paddelsituation, so wie sie in unserem Verein am Main gegeben ist, ist diese zweigeteilte Ausbildung tatsächlich eine Lösung, die allen nur Vorteile bringt: Für die Paddler, die hier ihre Kanusport-Karriere beginnen und ihre ersten Schritte im Boot oder auf dem Board tun, ist der ÜL Touring der ideale Ausbilder. Auch wenn es später einmal längere Touren auf dem Zahmwasser werden, ist er weiterhin mit Rat und Tat zur Stelle.

Tendiert der Paddler aber im Laufe der Zeit zu bewegteren Wässern, kommt der ÜL WW zum Zuge, der dann dem WW-ambitionierten Paddler Schritt für Schritt die Weihen der WW-Schwierigkeiten erteilt. Und damit es Philipp auf dem Main nicht langweilig wird, hat er neben seinem MiniMystic auch noch eine Freestyle-Semmel. Mit der kann er sich auch auf dem Main (noch) so richtig austoben.

Karl + Philipp Kempf

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