Ricarda Funk holt sich den Olympiasieg

Als kompletteste Fahrerin mit einer hohen Nervenstärke wird sie durch den DKV-Präsidenten Thomas Konietzko beschrieben. Und Nervenstärke war es tatsächlich, auf die es am heutigen Tag besonders ankam. Als Ricarda Funk an der Startlinie steht, weiß sie: „Ich habe mich warm gefahren, wie es für mich richtig ist. Ich habe mich nur auf mich selbst konzentriert. Ich bin total im Fokus!“

Mit einer solchen Einstellung muss man erst einmal in einem olympischen Finale in der Startbox stehen können – insbesondere, wenn man weiß, dass unten im Ziel schon eine Medaille sicher sein kann. Wenn doch nur die Eins auf der Anzeige steht! Die Ausgangsposition war dafür nicht schlecht: „Ich denke, es war bestimmt angenehmer, als ganz als Letzte fahren zu müssen. Da ist immer die Herausforderung, dass man die ganzen Zeiten der anderen hört.“

Doch die Wahl-Augsburgerin ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Ich habe mir für heute vorgenommen, mein Ding hier runterzufahren, unabhängig davon, was die anderen machen. Ich habe auch tatsächlich einmal geschafft, nicht auf den Sprecher zu hören und so wusste ich auch nicht, was die anderen vorgelegt hatten.“

Vorgelegt hatte die Spanierin Maialen Chourraut, die bei ihren vierten Olympischen Spielen ein ordentliches Paket Erfahrung mitbringt. Mit Bronze in London und dem Sieg in Rio war ihre Zeit von 106,63 Sekunden durchaus eine ernst zu nehmende Richtlinie.

Funk fand gut in den Lauf rein, hatte dann aber leichte Schwierigkeiten im oberen Streckenteil. Bedenken, dass dort die Entscheidung gefallen war? „Angst darf man keine haben. Man muss einfach Gas geben und bei der Sache bleiben. Man muss zu 100 % fokussiert sein, auch wenn mal eine Kleinigkeit schief geht.“ Und wenn es doch passiert? „Dann darf man den Fokus nicht verlieren, weiterkämpfen und weiter dran glauben, dass das noch funktionieren kann.“

Und genau so brachte sie den Lauf auch ins Ziel: mit Fokus und einer schnellen Linie, um dann auf der Anzeigetafel mit 105,50 Sekunden tatsächlich die so gewünschte Eins zu sehen. Da ging der Arm nach oben, und ein Schrei der Erleichterung und Freude war zu hören. „Ich kann es eigentlich gar nicht beschreiben, weil ich einfach schon sehr, sehr happy war, dass ich eine Medaille gewonnen habe. Ich wusste, als ich ins Ziel gekommen bin, dass ich jetzt schon eine sicher habe. Und damit war mein Traum ja eigentlich schon in Erfüllung gegangen.“

Doch der Traum sollte noch weitergehen. Als Vorletzte stand die Slowakin Eliska Mintalova am Start. Diese kassierte jedoch eine 50-Sekunden-Zeitstrafe am Tor 18 und konnte damit nicht mehr um die Medaillenränge mitkämpfen. Da hielt sich auch Chourraut die Hände vor das Gesicht, als klar war, dass sie mit ihren 38 Jahren – damit die älteste Sportlerin im gesamten Klassement – eine dritte olympische Medaille gewonnen hatte. Doch beiden Athletinnen war klar, dass oben am Start noch eine stand, deren Kaliber allseits bekannt sein dürfte.

Dass die Australierin Jessica Fox – ebenfalls bereits mit zwei olympischen Medaillen dekoriert – bei der Podiumsentscheidung nicht wegzudenken ist, braucht eigentlich nicht gesagt werden. Hatte Sie den Semifinallauf als Erste beendet, waren es rein fahrzeitlich aber nur neun Hundertstelsekunden, die sie Ricarda Funk abgenommen hatte. Und dann kam wieder das Problem mit der Nervenstärke. Zwar zeigte sie die schnellste Fahrzeit, unterbot sich selbst noch einmal um über eine Sekunde, doch das Nervengerüst war nicht stark genug, um den Lauf auch fehlerfrei herunterbringen zu können. Zwei Torstabberührungen und damit vier Strafsekunden waren zu viel, um gegen Funk und Chourrout eine Chance zu haben. Sie kam schließlich auf dem Bronzerang ins Ziel.

Was soeben passiert war – damit wusste die deutsche Kajak-Spezialistin nicht so recht umzugehen. Die Arme vor das Gesicht haltend, war nur zu hören: „Ich kann das einfach nicht glauben!“

Es war die erste Medaille bei den Kajak-Damen seit der Goldmedaille 1992 durch Elisabeth Micheler-Jones und zugleich die erste olympische Goldmedaille für das Team Deutschland bei diesen Spielen.

Kurz danach ging entsprechend auch standes- und traditionsgemäß der Trainer der Goldsportlerin im Zielbecken baden. Ob nun gewollt oder auch nicht: Die Trainer- und Betreuerkollegen im deutschen Team fragten nicht lang und warfen Thomas Apel kurzerhand dort hinein, wo zuvor Ricarda nach ihrem Lauf gejubelt hatte.

Es ist ein langer und beschwerlicher Weg zu diesem Moment gewesen: „Nach der Olympia-Quali 2016 war ich einfach unglaublich traurig und enttäuscht, weil ich wusste, dass ich nicht meine Leistung abgerufen habe. Für mich stand aber direkt danach fest: Tokio ist mein Ziel. Darauf arbeite ich jetzt hin. Und dafür habe jetzt wirklich fünf Jahre lang hart gearbeitet.“

Es war also eine riesige Last, die in diesem Moment von ihren Schultern rutschte: „Ich kann es noch überhaupt nicht realisieren. Eine Goldmedaille, davon habe ich einfach schon immer geträumt und jetzt ist dieser Traum Realität geworden, das ist einfach unglaublich!“

Text + Foto: Philipp Reichenbach

Alle Ergebnisse unter www.eurosport.de/olympia/sport/kanuslalom/event/canoe-slalom-single-women-kayak

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