Nachbetrachtung Kajak-Cross

Noah Hegge paddelt in der neuen olympischen Sportart Kajak-Cross zu Olympia-Bronze. Elena Lilik landet im Finale auf dem vierten Platz. Ricarda Funk scheidet bereits im Viertelfinale aus. Der Cheftrainer zieht Fazit und gibt einen Ausblick auf die nächsten Olympischen Spiele.

Die Kajak-Cross-Wettkämpfe in dieser erstmals bei Olympischen Spielen ausgetragenen Sportart waren am letzten Wettkampftag der Kanuslalom-Entscheidungen eine emotionale Achterbahnfahrt, die am Ende mit einem Höhenflug für Noah Hegge endete. Der Augsburger Kanu-Schwabe sichert sich nach seinen beeindruckenden Kopf-an-Kopfrennen, die er alle bis auf das Finale für sich entscheiden konnte, Bronze hinter dem Neuseeländer Finn Butcher und dem Briten Joseph Clarke. Seine Vereinskameradin Elena Lilik schaffte ebenfalls den Finaleinzug, landete am Ende auf Platz vier. Ricarda Funk (KSV Bad Kreuznach) hatte indes kein Glück in ihrem schweren Viertelfinale. Sie hat gekämpft, auch nach ihrem schweren Rückschlag im Kajak-Einer – für ihren Traum.

Nach Hegges Bronze-Zieleinlauf durften die Zuschauer einen noch nie erlebten Gefühlsausbruch des 25-Jährigen erleben. Mehrfach, untermalt von lauten Freudenschreien, schlug er mit dem Paddel auf sein Boot. Als er später seine Fahrt im Video anschaute, sagte er lachend: „Ich sehe mich selten so emotional. Das muss ich erst einmal sacken lassen.“

Sein Tag war gut gestartet. „Ich bin am Morgen aufgewacht und habe mich ready gefühlt.“ Und, so ergänzte er: „Ich hatte gute Laune, und das ist erst einmal sehr entscheidend für mich.“ Seine Läufe durch die k.o-Runden meisterte der 25-Jährige jedes Mal bravourös mit einem Sieg. „Das Halbfinale hat mich dann richtig gepusht“, verriet er. „Das hat mir am meisten Spaß gemacht.“

Mit seinem Trainer Paul Böckelmann lag der Fokus in der Vorbereitung für Kajak-Cross auf der Startphase. „Weil die hat man als einzige selbst im Griff. Alles, was danach kommt, ist sehr aktives und reaktives Fahren, immer zu wissen, was die anderen machen.“ Bis zum Halbfinale hat das sehr gut geklappt. Im Finale allerdings hatte es der 25-Jährige mit „Schwergewichten“ wie Clarke und Butcher, zu tun, „die schon die eine oder andere Medaille im Cross haben.“ Beide hatten auch eine sehr gute Startphase. „Umso glücklicher bin ich, dass ich mich nach dem Gedränge in der Startphase dann noch durchsetzen konnte, nicht die Ruhe verloren habe.“ Und, so betonte er, „ich hatte keinen Bock drauf, hier als Vierter einzutrudeln.“ Verrückt und noch kaum fassbar für ihn, meinte er: „Es ist schon ein bisschen geisteskrank, was passiert ist.“

Hegges erste internationale Medaille

Im Slalom hatte es nicht mit olympischem Edelmetall geklappt. „Ich wollte dort schon eine Medaille“, weil er sich in dieser Saison gut gefühlt habe. Ein großer internationaler Einzelerfolg blieb dem Augsburger bisher verwehrt. „Es wäre schon schön gewesen, wenn ich hier mit einer Medaille angereist wäre.“ Weil das aber nicht klappte, so sagte er lachend, „war der Plan, hier mit einer Medaille abzureisen.“

Viele Rückschläge musste der Augsburger bis zu seinem großen Moment in Paris verkraften. Vor allem bei der Heim-WM 2022 in Augsburg, wo er sich zumindest fragwürdigen Juryentscheidungen ausgesetzt sah. Seit einem Jahr arbeitet er deshalb mit einem Sportpsychologen zusammen. Mit Erfolg, wie sein Ergebnis zeigt.

Platz 4 für Elena Lilik

Vereinskameradin Elena Lilik hatte sich ebenfalls bis in das Cross-Finale gekämpft, allerdings mit etwas Glück im Halbfinale. Sie paddelte dort zwar als Vierte und damit Letzte über die Ziellinie, aber zwei ihrer Kontrahentinnen machten Fehler, die ein Zurücksetzen auf die Ränge drei und vier zur Folge hatten. Als Halbfinal-Zweite konnte die Augsburgerin im Finale von einer Medaille somit noch träumen. Allerdings beendete sie aufgrund eines Fehlers das Finale als Vierte. Der Grund: Sie hatte einige Probleme bei der Befahrung des ersten Auswärtstores und fasste dann kurz mit der Hand nach dem Stab, was regelwidrig ist. „Es war halt ein olympisches Finale. Man wollte alles oder nichts. Da ist alles ein bisschen aus dem Reflex passiert, ich hatte es auch nicht mehr so ganz unter Kontrolle“, erklärte sie ihre Handlung. Olympiasiegerin wurde die Australierin Noemie Fox vor der Französin Angèle Hug und der Britin Kimberley Woods.

Der gemeinsame Weg von Hegge und Lilik

Für Lilik war dies aber kein Weltuntergang. Im Gegenteil. Sie hatte bereits ihren olympischen Moment. Und sie durfte den großen Triumph ihres langjährigen Weggefährten miterleben. Sie und Noah Hegge haben fast zeitgleich mit dem Kanufahren angefangen. „Wir haben sehr viele Wettkämpfe gemeinsam gemacht. Und wir haben uns schon riesig gefreut, gemeinsam hierher zu fahren. Und dass wir von Paris jeder mit einer Medaille nach Hause fahren: Hätte mir das jemand vorher gesagt, das wäre verrückt gewesen“, erzählt Hegge.

Und, so berichtet Lilik, „wir waren auch schon gemeinsam im Urlaub. Wir haben schon viel zusammen erlebt. Die Olympia-Qualifikation zusammen war schon ein enormes Highlight.“ Aber auch die wichtige Rolle von Sideris Tasiadis, der zehn Jahre älter als die beiden ist, hob Lilik noch einmal hervor. „Er hat viel mit unseren Karrieren zu tun.“

Der Triumph von Hegge in Paris war für Lilik etwas ganz Besonderes. „Ich bin so froh, dass ich seine allererste internationale Medaille miterleben durfte. Er musste so lange darauf warten, obwohl er so ein genialer Bootfahrer ist.“ Bei dieser Freude darüber gab es kein Halten mehr für Lilik. Sie sprang kurzerhand in den Kanal und konnte somit als Erste dem glücklichen Bronze-Gewinner gratulieren.

Ricarda Funk scheidet im Viertelfinale aus

Dramatisch war der Ausgang für die Vorzeigeathletin Ricarda Funk. Sie konnte ihren Vorteil, die Power, die sie hat, am Start nicht einsetzen. Von beiden Seiten eingeklemmt, bekam sie das Paddel nicht in das Wasser, um sich frühzeitig abzusetzen. Unter Tränen sagte die 32-Jährige, „die ganze Woche war brutal.“ Nach ihrem elften Platz in ihrer Schokoladendisziplin Kajak-Einer, „war eigentlich jeder Tag schon fast schmerzhaft. Ich habe jeden Tag mit ein paar Tränen begonnen. Aber ich habe versucht, irgendwie diesen Schmerz in den Cross zu packen. Ich habe versucht, die Energie zu nutzen, die irgendwie gerade in mir ist. Ich habe den Kopf nicht in den Sand gesteckt, bin mit Energie und Kraft an den Start gegangen, um meine Medaille doch noch zu holen. Es sollte irgendwie nicht sein.“

Hegge fühlte sich nackt

Bei der Siegerehrung gab es ein ungewohntes Bild von Hegge – so ganz ohne seine Mütze, oder zumindest irgendeine Kopfbedeckung. Er hatte vergessen, sie an die Strecke im Zelt mitzunehmen, „deshalb musste ich leider ohne gehen. Ich habe mich schon ein bisschen nackt gefühlt“, sagte er lachend. Denn seine Mütze sei eigentlich wie angewachsen, erzählt er. Die Phase ohne Mütze bei der Siegerehrung sei sehr lang gewesen. „Ich wusste auch gar nicht, was ich mit meinen Haaren machen soll.“ Und er bedauere, dass er nun von dem Moment seines größten Triumphes nur Fotos ohne Mütze hat. „So lange ohne Mütze, war schon ungewohnt. Und auf dem Podest zu stehen, war auch ungewohnt“, erzählt er lachend.

Resümee des Cheftrainers zu den Olympischen Spielen und Ausblick

Auf ein Fazit dieser Olympischen Spiele angesprochen, sprach Cheftrainer Klaus Pohlen zunächst seinen Dank an das gesamte Team aus. „Die Trainer Thomas Apel und Paul Böckelmann haben einen herausragenden Job hier gemacht, sie haben die Athletinnen und Athleten sehr gut vorbereitet.“ Auch lobte er die Arbeit des Physiotherapeuten,„der hier viel zu tun hatte.“ Und auch die Trainingswissenschaftler haben alles sehr gut analysiert, speziell am letzten Wettkampftag im Kajak-Cross, „das war ganz, ganz wichtig.“ So wurden auch die Gegner analysiert, um zu wissen, wie sich die Deutschen verhalten müssen.

Zwei Medaillen für das deutsche Team, zwei vierte Plätze. Mit der Ausbeute zeigte sich Pohlen zufrieden. Dennoch, ein Wehrmutstropfen bleibt. „Mir tut es leid für Ricarda“, auch im Cross wäre für sie eine Medaille möglich gewesen. „Sie hat es ja auch in den Vorläufen gezeigt.“ Auch wenn Funk bei diesen Spielen ohne Medaille abreisen muss, sagte Pohlen, „ich bin stolz, eine Sportlerin wie sie ein Stückchen ihres Weges begleiten zu dürfen. Sie ist eine herausragende Sportlerin und Persönlichkeit.“ Sein Kompliment gelte genauso aber auch Sideris Tasiadis, „der mit Platz vier auch ein bisschen Pech hatte.“ Etwas von der Leistung her sei Stefan Hengst abgefallen, „von ihm hatten wir uns etwas mehr versprochen.“

In die Zukunft blickend, meinte Pohlen, „müssen wir schauen, wie wir uns in den nächsten vier Jahren vielleicht noch ein bisschen besser aufstellen.“ An den Nachwuchs gab Pohlen mit, dass Hegge das beste Beispiel sei, was man erreichen kann, „wenn man fleißig ist und an sich arbeitet.“ Dennoch sagte er, „wir haben aktuell vielleicht eine ‚goldene Generation‘. Das bleibt aber nicht so. Wir müssen dringend im Nachwuchsbereich für die Zukunft die Weichen stellen. Und dafür muss auch einiges an der Infrastruktur und den Möglichkeiten in der Verbindung Schule und Leistungssport, insbesondere in Augsburg, etwas passieren.

Text: Uta Büttner, DKV / Fotos: Marianne Stenglein

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