FLUSS.FREI.RAUM – Auftakt und Fachtagung
Am Abend des 6. November besuchten zahlreiche Gäste den feierlich-fröhlichen Auftakt. Dieser stand allen Interessierten offen. Sie lauschten einer Auswahl von Flussgedichten aus der Sammlung von Tom Henschel, ehemals Mitarbeiter beim Bayerischen Landesamt für Umwelt. Sie wurden musikalisch unterhalten vom Jazz-Trio Johannes Ochsenbauer aus Augsburg. Sie sahen die Filmpremiere „Die Flussbefreier“. Und sie lachten mit dem Olympia-Slalom-Kanuten Sideris Tasiadis, der im Interview mit Dr. Stefan Schmidt gewohnt schwäbisch-verschmitzte Antworten gab.
Der 7. November war dann ganz dem fachlichen Austausch gewidmet. Eingeladen waren vor allem Experten aus den Gemeinden, Behörden, Wissenschaft und Politik, die an Planung und Realisierung von Renaturierungmaßnahmen in Fließgewässern beteiligt sind. Im Fokus steht der Rückbau von Querbauwerken. Deren Zahl beträgt allein in Bayern über 50.000 (!). Viele davon sind inzwischen funktionslosen oder unwirtschaftlich im Betrieb, doch tragen sie weiterhin dazu bei, dass die überwiegende Mehrheit unserer deutschen Fließgewässer in einem schlechten ökologischen Zustand sind.
Auf diese Tatsache wies auch gleich die erste Rednerin hin, die nach dem digitalen Grußwort von Bayerns Umweltminister Glauber ans Mikrofon trat. Katharina Amann vom Landesfischereiverband zeigte auf, dass nur 15% aller bayerischen Gewässer in einem guten oder sehr guten Zustand sind. Und dass von den 45.000 (!) Querbauwerken in bayerischen Bächen und Flüssen gerade einmal 10% durchgängig sind. Hier tut Veränderung dringend Not.
Es gilt, die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen und gleichzeitig die notwendigen Schritte einzuleiten. Laut Katharina Amann ist die wichtigste Aufgabe des Projekts FLUSS.FREI.RAUM die Vermittlung zwischen den Behörden, den Privatbesitzern solcher Bauwerke, den Naturschutzverbänden und den Menschen vor Ort. Ziel sei es, in den kommenden sechs Jahren Leuchtturmprojekte zu schaffen. Diese sollen aufzeigen, dass und wie die praktische Umsetzung von Rückbaumaßnahmen zu bewerkstelligen ist – sowohl technisch als auch finanziell.
Im Anschluss sprach Prof. Jürgen Geist, Aquatische Systembiologie der TU München, über die Auswirkungen des Klimawandels auf Lebensgemeinschaften in Fließgewässern. Er erläuterte, welche dramatischen Auswirkungen höhere Durchschnittstemperaturen und Extremwetterereignisse auf die gesamte Tier- und Pflanzenwelt im Fluss haben. Doch er schlug auch konkrete Maßnahmen vor, die der Natur helfen, mehr Widerstandskraft zu entwickeln: Es gelte aus seiner Sicht zum Beispiel, entwässerte Gebiete wieder in Schwammlandschaften zu verwandeln. Diese könnten als Wasserspeicher sowohl Trockenheit als auch Überschwemmungen vorbeugen. Sie speicherten darüber hinaus auch große Mengen CO2.
Frank Barsch, Referent im Bundesumweltministerium, stellte im Folgenden das übergeordnete „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ vor. In dessen Rahmen wird „FLUSS.FREI.RAUM“ als Modellvorhaben durch das Bundesamt für Naturschutz mit Mitteln des Bundesumweltministeriums von 2024 bis 2030 gefördert.
Als nächster Programmpunkt wurde aus Finnland Sampsa Villhunen vom WWF Finnland zugeschaltet. Er berichtete von den Erfolgen der Rückbau-Bewegung in seinem Land. Die öffentliche Meinung spräche sich dort inzwischen vehement für die Rückkehr zu frei fließenden Flüssen aus. Unter diesem Druck sei die staatliche Förderung für der Erhalt von Querbauwerken inzwischen eingestellt worden, Gelder gäbe es nur noch für deren Rückbau. So konnten in den letzten sieben Jahren immerhin 58 Dämme entfernt werden.
Birgit Thies, Projektleiterin von FLUSS.FREI.RAUM beim WWF, ging noch einmal auf die Zielsetzung des Projekt ein. Es komme darauf an:
- beispielhafte Rückbauprojekte umzusetzen,
- Wissen rund um den Rückbauten aufzubauen und zugänglich zu machen,
- ein Netzwerk ehrenamtlich Engagierter aufzubauen,
- die Vernetzung zu politischen Entscheidern voranzutreiben,
- das Bewusstsein für das Thema Querbauwerke in der Öffentlichkeit zu schaffen und zu schärfen.
Sigrun Lange vom WWF Deutschland stellte drei bereits in Angriff genommene Rückbauprojekte vor. Bei allen dreien wurden kreative Lösungen für die Finanzierung und die Durchführung gefunden.
Sie lenkte dann die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf das „Schwedische Modell“: In Schweden haben die großen Wasserkraftbetreiber einen hochdotierten Fond gegründet, aus dem ausgewählte Rückbauprojekte auch von Querbauwerken anderer Eigentümer finanziert werden. Wie die zugeschaltete Direktorin dieses Fonds, Anna Jivén, erläuterte, werden in Schweden aktuell systematisch alle Querbauwerke auf ihren Nutzen/Schaden-Relation geprüft. Kommen die Instanzen zu dem Schluss, dass die Bilanz negativ ist, muss das Querbauwerk rückgebaut werden. Allerdings – auch das räumte sie ein – sei das Ziel nicht, alle Querbauwerke zu beseitigen: Dafür sei die Abhängigkeit von der Wasserkraft in Schweden viel zu groß.
Anschließend diskutierte das Auditorium darüber, ob sich das Schwedische Modell auf Deutschland übertragen ließe. Differenziert und sachlich wurde über das Für und Wider gesprochen.
Wie kompliziert die Lage an vielen Gewässern ist, demonstrierten danach am Beispiel der Flusskrebse Christoph Graf und Jeremy Hübner vom Bayerischen Landesamt für Umwelt. Die heimischen Edelkrebse sind massiv bedroht durch „invasive“ Flusskrebs-Arten zum Beispiel aus Nordamerika. Diese verbreiteten die hochansteckende Krebspest und verdrängten durch ihr aggressiveres Verhalten die angestammten Krebse. Diese hätten sich inzwischen in die Oberläufe von Flüssen zurückgezogen. Paradoxerweise würden sie dort durch entsprechend ausgestattete Querverbauungen geschützt, die den Aufstieg invasiver Krebsarten aus den Flussunterläufen verhindern – des Fisches Leid, des heimischen Krebses Freud.
Als Fazit der Auftaktveranstaltung vom FLUSS.FREI.RAUM lässt sich sagen: Die Tagung war hochkarätig besetzt, sowohl im Publikum als auch auf der Bühne. Sie gibt Hoffnung, dass dieses Projekt tatsächlich in Sachen frei fließender und gesunder Gewässer in Bayern etwas bewegen kann. Und der Bayerische Kanu-Verband als Projektpartner wird sich in den kommenden Jahren aktiv darin einbringen.
Petra Münzel-Kaiser, Ressort Umwelt und Gewässer